Der ursprünglich geplante Flächentarif in der Altenpflege war vor einigen Wochen am Widerstand der Caritas gescheitert. Nun beschloss das Bundeskabinett in Berlin am 2. Juni 2021 eine Reform für eine höhere Bezahlung für Pflegekräfte. Die Vorlage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wonach ab September 2022 Pflegeeinrichtungen nur noch mit der Pflegekasse abrechnen dürfen, wenn sie ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen, wurde genehmigt. Die Gesetzesänderungen müssen nun nur noch vom Bundestag beschlossen werden.

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Inhalt der Pflegereform

Union und SPD haben sich darauf geeinigt, dass ab dem 1. September 2022 zukünftig nur noch Pflegeeinrichtungen zur Versorgung zugelassen werden sollen, die ihre Pflege- und Betreuungskräfte nach Tariflöhnen, nach kirchenarbeitsrechtlichen Regelungen oder nur Löhne in gleicher Höhe eines Tarifvertrags entlohnen. Arbeitgeber müssen demnach entweder Tarifverträge mit einer Gewerkschaft abschließen oder aber Lohnvereinbarungen aus einem gültigen Tarifvertrag in der jeweiligen Region für ihre Mitarbeiter*innen übernehmen.

Die Bezahlung nach Tarif wird vollständig refinanziert. Für Einrichtungen, die selbst nicht tarifgebunden sind, wird eine Refinanzierung der gezahlten Löhne bis zu einer Höhe von 10% über dem Durchschnitt der regional geltenden Tariflöhne gewährleistet. Um prüfen zu können, ob die in den Pflegesatzvereinbarungen angegebenen Löhne auch tatsächlich bezahlt werden, erhalten Pflegekassen erweiterte Nachweisrechte.

Auch Pflegefachkräfte erhalten künftig mehr Entscheidungsbefugnisse bei der Auswahl des richtigen Hilfs- und Pflegehilfsmittels im Sinne der Pflegebedürftigen. Außerdem sollen die Fachkräfte eigenständige Entscheidungen in der häuslichen Krankenpflege treffen dürfen.

Bei kurzfristig höherem pflegerischen Versorgungsbedarf soll die Kurzzeitpflege ausgebaut werden. Dafür sei geplant, den Leistungsbeitrag der Pflegeversicherung um 10% anzuheben. Zudem wird ein neuer Anspruch auf eine bis zu zehntägige Übergangspflege eingeführt, für den Fall, dass im Anschluss an eine Krankenhausversorgung eine Pflege im eigenen Haushalt oder etwa in einer Kurzzeitpflege nicht sichergestellt werden kann.

Der Gesetzentwurf sieht einen jährlichen Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro für die Pflegeversicherung vor. Zudem soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung für Kinderlose ab Januar 2022 um 0,1% auf 3,4% steigen. Der Satz für Eltern bleibt unverändert bei 3,0%. Der Vergütungsexperte Andreas Heiber von der Unternehmensberatung System und Praxis äußerte sich dazu: „Allen Pflegediensten ist spätestens jetzt zu raten, sich auf Vergütungsverhandlungen vorzubereiten“. Die wesentliche Voraussetzung sei eine differenzierte Kostenrechnung, welche die Zahlen für 2021 dann so aufbereitet darstelle, dass daraus für den Teilbereich SGB XI alle Kosten für die Kalkulation der neuen Stundensätze ersichtlich seien.

Kritik an der geplanten Reform

Bundesvorstandsmitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Sylvia Bühler bezeichnete den Gesetzentwurf als zweitbeste Lösung: „Der vorgelegte Gesetzentwurf ist kein adäquater Ersatz für einen Tarifvertrag, dessen Erstreckung auf die gesamte Pflegebranche für hunderttausende Beschäftigte in der stationären und ambulanten Pflege bereits ab August dieses Jahres verlässlich deutlich höhere Löhne gebracht hätte“. Sie bemängelte zudem, dass noch völlig offen sei, ob die vorgesehenen sehr komplexen Reglungen überhaupt auf breiter Front zu dem überfälligen Anstieg der Löhne führten.

„Diese Pflegereform ist eine Mogelpackung für Pflegeversicherte, eine Zumutung für Pflegeunternehmen und eine schwere Bürde für die Gesellschaft und vor allem für die junge Generation“, sagt Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des VDAB. „Die Zumutung für die Pflegeunternehmen ist der vollkommene Einstieg in die Planwirtschaft. Denn der Gesetzgeber schreibt vor wieviel Personal einzustellen ist und was diesem bezahlt werden muss. Die Kassen bestimmen darüber hinaus die Preise für professionelle Pflege. Da wirkt es wie Hohn, wenn Minister Spahn in seiner heutigen Pressekonferenz betont, dass es weiter Investitionen von Unternehmen braucht, um den Pflegebedarf der Zukunft zu decken.“

 „Mit der tariflichen Entlohnung nimmt die Koalition eine Existenzgefährdung der Pflegeeinrichtungen in Kauf und setzt damit die Versorgung pflegebedürftiger Menschen aufs Spiel“, so der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer. Mit der vorgesehenen Gesetzesänderung sei nicht gesichert, dass Tariflöhne durch die Pflegekassen tatsächlich in ausreichender Höhe refinanziert würden. „Das ist eine Katastrophe für unsere Unternehmen.“ Insbesondere Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wird von Meurer scharf kritisiert: „Der Gesundheitsminister macht sich zum Erfüllungsgehilfen der SPD, die sich gegen das Engagement privater Anbieter in der Pflege ausspricht“. „Herr Spahn riskiert ohne Not, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen in der Pflege in den nächsten Jahren wegbrechen und damit Versorgungsstrukturen vernichtet werden, die wir bitter brauchen“.

Auch Die Linke kritisiert Spahn und wirft ihm vor, die versprochene große Pflegereform verschleppt zu haben. Das sei mit der Pandemie nicht zu entschuldigen. Sie hätte „längst vor Corona angefasst werden müssen“, so die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch. Sie fordert demnach einen festen Betrag von mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt.

Stefan Block, Geschäftsführer der ASB Ambulante Pflege GmbH in Bremen, sieht durch die Reform vor allem die pflegebedürftigen Kund*innen im Nachteil: „Als bekennende Arbeiterorganisation treten wir unbedingt für eine bessere, sachbezogene Entlohnung unserer Mitarbeiter*innen ein, doch bitte nicht einzig und allein auf Kosten der pflegebedürftigen Menschen.“ Steigende Personalkosten seien, sofern nicht von den Kassen refinanziert, entweder privat mit den Kund*innen abzurechnen oder durch eine Verringerung der Pflegezeit zu erreichen.

Spahn wehrt sich gegen Vorwürfe

Bei einer Demonstration der Gewerkschaft ver.di am 16. Juni in München verteidigt Jens Spahn die Pflegepolitik der Bundesregierung. Das Kernproblem bleibe der Personalmangel, doch „Alle suchen Personal“, „Wir sind in einer Spirale, die über viele Jahre in die falsche Richtung gegangen ist“.

„Wir haben die Pflege rausgenommen aus dem Kostendruck im Gesundheitswesen“, so Spahn mit Blick auf die Entkoppelung von Pflegeleistungen von den Fallpauschalen in Krankenhäusern. Krankenkassen seien nunmehr verpflichtet, Tariferhöhungen in voller Höhe zu finanzieren. Es liege aber in der Verantwortung der Gewerkschaft, Tarifverträge abzuschließen.

Spahn betont immer wieder, mit der gesetzlichen Regelung habe die Bundesregierung Vorarbeit geleistet. Neben der Verpflichtung für Arbeitgeber, Tariflöhne zu bezahlen, wenn sie mit den Kassen abrechnen wollen, sei auch bei der Ausbildung von Pflegekräften, etwa bei der Ausbildungsvergütung und dem Wegfall von Schulgeld in den Pflegeschulen, Verbesserungen eingeleitet worden.

Weitere Informationen zur Pflegereform und wie sich der Bundestag zu den Gesetzesänderungen noch im Juni entscheiden wird, erfahrt ihr bei uns im Blog.